Für eine Binärisierung des Alltags

Eine gute Freundin aus Deutschland hat mir eine Nachricht geschickt und mich etwas gefragt. Ich sah die Nachricht auf meinem Mobiltelefon, konnte aber gerade nicht antworten und habe mir das deshalb für später vorgenommen.

Später, als ich wieder Zeit hatte und die Nachricht beantworten wollte, habe ich sie nicht mehr gefunden. Ich wusste nicht mehr, über welchen Kanal ich die Nachricht erhalten hatte. Es war keine Mail, auch keine Facebook-Message und auch bei Google Plus oder Twitter war sie nicht. WhatsApp? SMS? Ich wusste es einfach nicht mehr. –

Das Leben wird immer komplexer. Auf immer mehr Kanälen prasselt immer mehr Information auf uns ein. Unsere Aufmerksamkeit wird ein immer kostbareres Gut. Und dieses Gut wird zwischen immer mehr Anspruchsgruppen aufgeteilt.

Aber Moment mal, wie kann das denn eigentlich sein? Unser Leben verlagert sich ja zunehmend in die digitale Welt, Bildschirme bestimmte mehr und mehr unseren Alltag. Und all die digitalen Gadgets sind doch alles andere als komplex. Das sind bloss binäre Realitäten. 0 oder 1, an oder aus, schwarz oder weiss. So einfach ist das, so einfach ist digital. Die Computer erzeugen all diese verblüffende Vielfalt mit dieser einen, grundlegenden Unterscheidung.

Die Komplexität entsteht erst in unserem Kopf, der nach wie vor analog funktioniert. Und da steckt denn auch das Problem. Die Welt entwickelt sich so schnell weiter, die Evolution kann da nicht mithalten. Evolution braucht Generationen, um sich neuen Bedingungen anzupassen. Und soviel Zeit gibt es im Moment nicht, die Entwicklung läuft viel zu schnell. Es braucht viel schneller Anpassungsmechanismen. Weil wir also nicht auf die Evolution warten können, müssen wir uns selber anpassen, kulturelle Überformung nennt sich das. Unsere Kultur, unser Denken muss binärisiert werden: die Binärisierung des Alltags ist geboten.

Es gibt nur zwei Arten von Menschen auf der Welt: Die, die die Menschheit in zwei Arten einteilen, und die, die das nicht tun. Ich mag es, die Welt zweizuteilen: wichtig und unwichtig, gut und böse, jetzt oder später. Mehr braucht es nicht, das reicht vollauf. Die digitale Welt ist schwarz/weiss, und daraus entsteht ihre grenzenlose Vielfalt. Sparen wir uns die Grautöne für die verbleibenden Nischen der analoge Welt. Ich werde die Freundin aus Deutschland bitten, mir eine Ansichtskarte zu schreiben!

Digital, das heisst binär,
Und vereinfacht alles sehr:
Schwarz und Weiss tut’s nur noch geben,
Grau gibt es nicht mehr im Leben.

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